Marcel Dux | (Online-) Zusammenarbeit und zeitgemäße öffentliche Förderung

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Die Praxis der Meditation in der Online-Lehre: Eindrücke aus meinem Pilotsemester

Quelle: Alexander Rentsch, 2018

Vielen von uns fällt es schwer, bei Online-Veranstaltungen die Aufmerksamkeit und Teilnahmebereitschaft aufrechtzuerhalten. Mit zunehmendem Informationsangebot im digitalen Raum sinkt die Konzentration. Gerade wenn die vermittelten Inhalte schwierig oder uninteressant erscheinen, ist die Versuchung groß, neben der Teilnahme an einem digitalen Kurs lieber Nachrichten zu versenden oder Inhalte in sozialen Netzwerken zu überfliegen. So zeigen die Ergebnisse der JIM-Studie (2020), dass Jugendliche im Homeschooling große Schwierigkeiten hatten, sich auf den Online-Unterricht zu konzentrieren. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass die Akzeptanz von Meditations- und Achtsamkeitsangeboten in Deutschland stetig zunimmt. In diesem Bericht möchte ich einen Ansatz zur Integration von Achtsamkeits- und Meditationsangeboten in den Unterricht in Online-Umgebungen vorstellen, um diesen stärker an die Bedürfnisse der digitalen Umgebung anzupassen.

Ausgehend von meiner Beschäftigung mit verschiedenen Meditationstechniken und angeregt durch die Inhalte des Zertifizierungskurses „Achtsame Hochschullehrende“ entstand die Idee, Online-Lehrveranstaltungen durch freiwillige Meditationsübungen zu ergänzen, um die Konzentrationsfähigkeit der Teilnehmenden sowie deren Reflexion der Lehrinhalte zu fördern. Aufbauend auf bereits vorhandenen Erfahrungen in der Online-Lehre hatte ich die Möglichkeit, die Inhalte und Ideen der Achtsamen Lehre erstmalig exemplarisch umzusetzen.

Im Folgenden gehe ich auf meine Grundhaltung zur Meditation und die Schnittmengen mit meiner universitären Lehre ein. Außerdem skizziere ich das methodische Vorgehen zur Etablierung von Achtsamkeitsübungen am Beispiel der von mir betreuten Lehrveranstaltung. Darauf aufbauend beziehe ich mich auf konkret erprobte Übungen und diskutiere erste Evaluationsergebnisse, um abschließend einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen zu entwerfen.

1 Die eigene Achtsamkeitspraxis im Kontext der Hochschullehre und der Weiterbildung reflektieren und weiterentwickeln

Bevor ich mich bewusst mit den Themen Achtsamkeit und Meditation beschäftigte, gehörten Momente der Ruhe und des Müßiggangs schon lange zu meinem Leben. Um diese als bewusste Meditationen zu verstehen, fehlte mir jedoch der thematische Bezug. Im Rahmen meiner Yogalehrerausbildung habe ich 2018/19 erstmals eigene Meditationsübungen als Bestandteil meiner Vinyasa-Kurse angeleitet. In der Zeit der Coronapandemie konnte ich die Sichtweise von Jon Kabat-Zinn und das MBSR-Programm als Teilnehmer eines Onlineprogramms kennenlernen. Die daraus resultierende regelmäßige Praxis als Momente der Reflexion und des Innehaltens haben mir gut getan. Seither fällt es mir leichter, Gedankenspiralen zu reflektieren, andere Menschen und ihre Bedürfnisse zu respektieren und eigene Empfindungen ihren spürbaren Ursachen zuzuordnen. Diese Effekte haben mich dazu veranlasst, meinen Studierenden im Rahmen ihres Lernprozesses ähnliche Möglichkeiten zu bieten. So entstand die Absicht, ihnen zu helfen, ihre eigenen Stärken, aber auch die Grenzen ihrer Handlungs- und Verantwortungsbereiche zu erkennen. Um diese Ziele zu erreichen, wollte ich niedrigschwellige Begegnungsformate in Form von moderierten Online-Einheiten und frei zugänglichen digitalen Übungen anbieten, die den Studierenden subjektiv empfunden gut tun. Im Gegenzug habe ich durch die Entwicklung und Umsetzung dieser Ideen selbst mehr über mich und meinen Zugang zur Meditation gelernt.

Aus der Weiterbildung habe ich eine Grundhaltung mitgenommen: Meine meditative Arbeit dient dazu, die in jedem Menschen vorhandenen Empfindungen und Sinnesimpulse zu beleuchten. Es geht mir nicht um Veränderung, denn Veränderungsimpulse sind meist von Vermeidungs- und Bewertungstendenzen geprägt. Für die Lehre bedeutet dieser Ansatz, dass ich meinen Studierenden Angebote mache, Bewertungen vermeide und dem Geschehen ergebnisoffen begegne.

2 Kursaufbau: Meditations- und Konzentrationsübungen als Ein- und Ausstiegsmodell für synchronen Online-Unterricht

Das Betreten eines Raumes hilft uns, uns auf das vorzubereiten, was in ihm geschehen wird. Unsere Erwartungen an die Erlebnisse in einer Bibliothek sollten sich deutlich und intuitiv von denen in einem McDonalds Imbiss unterscheiden. Ein Online-Lehr- und Lernraum, meist ein Zoom- oder Big-Blue-Button-Fenster auf dem heimischen Schreibtisch, bietet nur wenig Abwechslung, wie sie z.B. in der Präsenzlehre an verschiedenen Orten und mit unterschiedlichen Bezugspersonen möglich wird. Im direkten Wechsel zwischen privater Lebenswelt und wechselnden Lernerfahrungen in Online-Umgebungen fehlt oft die Zeit, um Erfahrungen zu verarbeiten oder sich gedanklich auf bevorstehendes Lernen einzustellen. Es stellt sich daher die Frage, wie eine digitale Umgebung für motiviertes Lernen gestaltet werden kann, um ein Gefühl der Aufgeschlossenheit und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Im Idealfall sollte das Lernen ohne Voreingenommenheit, Gedanken an den weiteren Tagesablauf oder Aktionismus beginnen.

Hilde und Ylva Østby formulieren in ihrem Buch “Tauchen nach Seepferdchen” die These, dass unser Kurzzeitgedächtnis als Informationsspeicher nur eine sehr begrenzte und diffuse Aufmerksamkeitsspanne von 15 Minuten besitzt. Mein Anliegen war es daher, diese kurze Zeitspanne so effektiv wie möglich zu gestalten, indem ich vor der eigentlichen Lerneinheit Angebote etabliere, die helfen Emotionen und abschweifende Gedanken zu reflektierten und damit abzuschwächen. Auf diesem Weg starten die Teilnehmenden ohne gedanklichen Balast in die gemeinsame Lernerfahrung.

Ähnlich verhält es sich am Ende einer Online-Veranstaltung: Meist genügt ein kurzer Ausblick auf das bevorstehende Ende eines Online-Seminars und die Teilnehmenden sind mit ihren Gedanken bereits bei anderen Themen und Aufgaben. Um diese Struktur aufzubrechen, ohne die Lernenden zu überfordern, habe ich einen Veranstaltungsrahmen entworfen, den ich im folgenden Kapitel näher vorstelle.

3 Ein Konzept aus Inhalten, Reflexionsphasen und freiwilligen Meditationsangeboten

Jedes Seminar lebt von einer guten Balance zwischen Inhaltsvermittlung (Einatmung) und themenbezogener aktiver Eigenleistung und/oder Gruppenarbeit (Ausatmung). Für die Lehrveranstaltungen gebe ich deshalb einen strukturierten Rahmen vor, der aus 45-minütigen Blöcken der Wissensvermittlung, gefolgt von 45 Minuten themenbezogener Aufgabenbearbeitung einschließlich Reflexionsangeboten (siehe Abbildung) besteht. Zwischen diesen Blöcken bietet eine zehnminütige Pause ausreichend Zeit zur Erholung. Hier biete ich den Teilnehmenden auch konkrete Vorschläge für einen analogen Ausgleich zur Arbeit am digitalen Gerät an, z.B. Entspannungsübungen für die Augen, die ich über meine Website in Form von Audiokommentaren kostenlos und barrierefrei zur Verfügung stelle.

Abbildung: Ablaufschema einer Veranstaltungseinheit mit fakultativen Meditationsangeboten

Um Meditations- und Konzentrationsübungen in den Online-Unterricht zu integrieren, wird vor dem eigentlichen Seminarbeginn eine freiwillige zehnminütige Übung durchgeführt. Entspannungs- und Atemübungen dienen dabei als neutraler Einstieg, um die Aufnahmefähigkeit der Teilnehmenden zu fördern, auch wenn sie keine Vorerfahrungen mit Meditationsübungen haben. Diesem Vorgehen liegt die These zugrunde, dass das Kurzzeitgedächtnis für die Verarbeitung von Informationen leistungsfähiger ist, wenn zu Beginn eines Lernprozesses Emotionen gedämpft werden und bestehende Gedanken zunächst kreisen dürfen. Im Rahmen der Veranstaltungen wurden mit dieser Intention die folgenden Übungen erprobt: Körperscan (sitzend), Bergmeditation, meditativer Farbwechsel und Höhenflug.

Den Abschluss jeder Veranstaltung bildete eine zehn- bis fünfzehnminütige Meditationseinheit, die je nach Inhalt der Veranstaltung entweder eine Reihe von Reflexionsfragen zum Hauptthema der Veranstaltung oder eine Übung aus der MBSR-Meditation beinhaltete. Als besonders angenehm wurden Variationen des Bodyscans sowie Meditationen empfunden, die mit außerkörperlichen Beschreibungen arbeiteten. Hier liegt die Vermutung nahe, dass diese als guter Ausgleich zur bewegungslosen, kopflastigen vorherigen Beschäftigung empfunden wurden. Die Teilnahme an diesen Angeboten war immer freiwillig und hatte keinen Einfluss auf die Benotung. Alternativ konnten sich die Studierenden später in die Lerneinheiten einwählen oder diese vorzeitig verlassen. Hier wurde bewusst die Anonymität von Online-Umgebungen genutzt, um den Studierenden einen Rückzugsraum zu bieten und auch eventuell vorhandene negative Einstellungen gegenüber dieser Methodik zu respektieren. Der dargestellte Ablauf einer Veranstaltungseinheit wurde über die durchgeführten sechs Veranstaltungseinheiten nicht verändert. Damit wurde für alle Beteiligten ein klarer Rahmen geschaffen, der eine eigenständige Planung für alle Beteiligten ermöglichen sollte.

4 Gute Beteiligung und wertschätzendes direktes Feedback: Die Rückmeldungen der Teilnehmenden sind vielversprechend

Die Eindrücke zur Akzeptanz und Teilnahme an den Meditationsangeboten basieren auf eigenen statistischen Auswertungen und den Antworten aus der Veranstaltungsevaluation im anonymen Feedbackmodul. Von insgesamt 23 regelmäßig anwesenden Personen haben 14 an den Übungen zu Beginn des Seminars teilgenommen (60%). Zehn Teilnehmende beendeten die Veranstaltung regelmäßig mit der angebotenen Meditationseinheit (43%). Die zusätzliche anonyme Veranstaltungsevaluation (n= acht Personen) zeigt, dass die Meditationsübungen grundsätzlich auf Interesse gestoßen sind. So lautete die Rückmeldung einer Person: „Die Entspannungsübungen zu Beginn/Ende der Veranstaltungen waren auch super“. Eine weitere Rückmeldung sprach sich deutlich dafür aus, Meditationsangebote auch in zukünftige Kursangebote aufzunehmen.

Weder die Anzahl der Antworten noch die vereinzelten Inhalte lassen eindeutige Rückschlüsse auf die Gesamtmeinung aller Kursteilnehmenden zu, zumal die Veranstaltungsevaluationen selbst meist entweder von sehr positiv oder sehr negativ gestimmten Teilnehmenden beantwortet werden. Dennoch lassen die Evaluationsergebnisse die Annahme zu, dass sowohl die Akzeptanz als auch die Beteiligung an der Mediationspraxis grundsätzlich gegeben sind.

5 Tipps für die erfolgreiche Integration von Meditationsangeboten in den Online-Unterricht

Unter dem populären Begriff „Achtsamkeit“ versammeln sich eine Vielzahl von Methoden zur Stressreduktion und Anregungen zur Verbesserung der Lebensführung. Trotz dieses anhaltenden Trends scheinen Begriff und Praxis der Meditation noch nicht im Studien- und Arbeitsalltag angekommen zu sein. Nach dem Ende der Pandemiesituation und dem derzeit dominierenden Thema des Krieges in der Ukraine scheint das zugrundeliegende Bedürfnis der Studierenden nach Ruhe und direkten sozialen Kontakten sehr stark ausgeprägt zu sein. Gleichzeitig bleibt Meditation als absichtsloses Verweilen im Hier und Jetzt für viele Praktizierende ein höchst privater und sensibler Vorgang, der behutsam in den Kontext offizieller Bildungsinstitutionen integriert werden sollte. Tatsächlich scheinen Online-Formate durch die Möglichkeit der Intimität und gleichzeitigen körperlichen Distanz Meditationsformate einerseits besonders notwendig und andererseits besonders einsteigerfreundlich zu machen. So kann es den Teilnehmenden selbst überlassen werden, ob sie Kamera und/oder Mikrofone während der gemeinsamen Meditation freigeben. Ein*e Meditationsbegleiter*in sollte hingegen jederzeit als Ansprechpartner*in in Bild und Ton zugeschaltet bleiben, kann aber durch das Schließen der eigenen Augen Momente der eigenen Aufregung recht gut kompensieren. Außerdem empfiehlt es sich, ein hochwertiges Mikrofon für die Sprachübertragung zu verwenden, um störende Nebengeräusche zu vermeiden. Bei meiner Veranstaltung habe ich zum Beispiel ein Rode NT Studiomikrofon verwendet.

Um Studierende ohne Meditationserfahrung nicht zu verunsichern und abschreckenden Vorurteilen vorzubeugen, habe ich in den Veranstaltungen stets die Begriffe ‚Atemübung‘ oder ‚Konzentrationsübung‘ verwendet. Deren zugrunde liegende Intention wurde auf der Basis weiterführender Literatur kurz dargestellt und in den Kontext des jeweiligen Kurses eingeordnet. Aus organisatorischer Sicht empfehle ich, die Teilnahme an Meditationen niemals zu bewerten. Im Sinne einer inklusiven Pädagogik wurde auch darauf verzichtet, spirituelle Aspekte, wie z.B. ein gemeinsames Ohm, in die Praxis zu integrieren. Ich könnte jetzt versuchen, dies argumentativ zu begründen, aber ich muss gestehen, dass ich einfach darauf verzichtet habe, weil es mir auch in dieser Situation zu übergriffig erschien. Hier komme ich auf die eingangs erwähnte Erwartungshaltung zurück, die wir mit bestimmten Orten und Erfahrungswelten verbinden. In meinen Yogastunden ist das Ohm, auch als Gemeinschaftserfahrung in einem geteilten Präsenzraum, ein wohltuender Standard.

6 Ausblick: Erweiterung des Online-Angebots und Ausbau der Formate

Die Integration von Meditationsangeboten in die Online-Lehre kann hilfreich sein, um sich nicht nur im digitalen Raum, sondern auch im Alltag besser konzentrieren und entspannen zu können. Eine tägliche Übungsroutine, die Verstehens- und Lernprozessen etwas mehr Wirkungsraum gibt, kann tiefere Einsichten in bereits Gelerntes oder neues Wissen zu Tage fördern.

In den kommenden Wochen werde ich alle angewandten Übungen als Artikel inkl. Audio-Anleitungen auf dieser Webseite zur Verfügung stellen. Derzeit werden die vorhandenen Artikel durchschnittlich 100 Mal pro Monat aufgerufen. Ziel ist es, ein niedrigschwelliges, kostenloses und werbefreies Format zu schaffen, das es mir ermöglicht, weitere Erkenntnisse über meine eigene Praxis zu gewinnen und Interessierten einen behutsamen und unbeobachteten Zugang zur eigenen Routine zu ermöglichen.

Durch den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen entstand auch die Idee, Vorträge und Seminare durch passende Meditationsangebote zu ergänzen, z.B. mit intentionssetzenden Reflexionsfragen und Beispielen. Umgesetzt wurde diese Idee u.a. beim University: Future Festival sowie bei der Konferenz „Forsch in die Zukunft“. Ein weiterer Ausbau dieser Formate ist aus Zeitgründen und ohne kommerzielle Absichten bis auf weiteres nicht geplant.

Quelle

  • Østby, H.,Østby Y. (2018): "Nach Seepferdchen tauchen: Ein Buch über das Gedächtnis", 2. Edition, Berlin Verlag.

  • Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2022): JIMplus 2020 Corona-Zusatzuntersuchung, [online] https://www.mpfs.de/studien/jim-studie/jimplus-2020/ [13.01.2021].


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